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Aus NZZ Folio 11/1996



Krieg den Kippen

Die amerikanische Tabakindustrie ist unter Druck geraten wie nie zuvor: eine Prozesslawine droht, die Anti-Rauch-Bewegung setzt alles daran, die Zigarette gesellschaftlich zu ächten. Steht der «Tobacco War» vor der Entscheidung?

Von Daniel Weber - NZZ Folio 11/1996

DIE PRESSEBILDER zeigten Grady Carter in Siegerpose. Strahlend umarmte er seine Frau vor dem Gerichtssaal in Jacksonville, Florida, in dem ihm am 9. August 1996 750 000 Dollar Schadenersatz zugesprochen worden waren. Eine stolze Summe, aber wer möchte die Frage beantworten, ob sie den Verlust eines Lungenflügels aufwiegt. 1,5 Millionen hatte Carter von Brown & Williamson Tobacco gefordert, einem Tochterunternehmen des Konglomerats British American Tobacco Industries (BAT). Brown & Williamson hatten vor zwei Jahren die Firma gekauft, die Lucky Strike produziert, Grady Carters Marke, seit der 17jährige 1947 zu rauchen begann. Am 29. Januar 1991 hörte er damit auf. Er hustete Blut, und der Spezialarzt, dem er zugewiesen wurde, diagnostizierte Lungenkrebs. Zwei Wochen später wurde er operiert.
Carter, ein pensionierter Fluglotse, hatte oft in seinem Leben versucht, das Rauchen aufzugeben. Hypnose, Nikotinkaugummi, Entwöhnungsklinik, alles nützte nichts. Wann schliesslich der Krebs seine Lunge befiel, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen; aber die Operation scheint ihn beseitigt zu haben, zumindest bis zum heutigen Tag. Warum er vier Jahre wartete, bis er Klage einreichte, begründete Carter vor Gericht damit, dass ihn der Auftritt von Vertretern der Tabakindustrie im Kongress 1994 dazu bewogen habe. Genauer, deren Aussage, Nikotin mache nicht süchtig. Seine Anwälte versuchten zu beweisen, dass die Zigarettenhersteller schon seit Jahrzehnten genau gewusst hatten, wie süchtigmachend ihr Produkt sei, ohne die Öffentlichkeit hinreichend darüber zu informieren. Die Geschworenen teilten diese Auffassung nicht vorbehaltlos. Das Standardargument der Verteidigung, Raucher seien für ihr Verhalten selber verantwortlich, beeinflusste den Schuldspruch und liess das Gericht die Schadenersatz-Summe halbieren.
Das Urteil im Prozess Carter vs. Williamson hatte für die Tabakkonzerne einschneidende Folgen - an der Börse. Am Tag darauf sank der Marktwert der BAT Industries um 9 Prozent, das heisst um rund 2 Milliarden Dollar; noch drastischer, um 13,9 beziehungsweise 13,2 Prozent, brachen die Kurse der amerikanischen Marktführer ein, von Philip Morris und RJR Nabisco. Sie haben inzwischen wieder Boden gutgemacht, und Börsenanalytiker beurteilen die Tabakkonzerne nach wie vor positiv. Für diese Einschätzung spricht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das aufsehenerregende Urteil vor der nächsten Instanz nicht besteht.
Denn es wäre nicht das erstemal, dass der Goliath mit einem blauen Auge davonkommt. 1984 verloren die Tabakfirmen bereits einen Prozess, den einzigen ausser jenem gegen Carter; sie unterlagen gegen die Angehörigen der an Lungenkrebs verstorbenen Rose Cipollone. Vier Jahre später hob jedoch das Berufungsgericht das Urteil auf, und 1992 resignierten die Anwälte der Cipollones, die bis vor Bundesgericht hatten gehen wollen. Wie schon einige vor ihnen bissen sie sich an den Tabakunternehmen, die einen langen Atem und prallvolle Kassen haben, die Zähne aus.
DIE ZIGARETTENINDUSTRIE ist eine der profitabelsten Branchen der USA. Sie produziert jährlich 660 Milliarden Zigaretten, davon 485 Milliarden für den einheimischen Markt, wo sie laut Schätzungen des Washingtoner Tobacco Institute 50 Milliarden Dollar umsetzt, dem Staat zu Tabaksteuereinnahmen von 12 Milliarden verhilft und über 700 000 Arbeitsplätze schafft. Der Branchenleader Philip Morris (Marlboro) belegt auf der «Fortune»-Bestenliste der US-Unternehmen Rang 10, hinter den grossen Automobil- und Erdölkonzernen, aber weit vor Coca-Cola (Rang 48) zum Beispiel.
Philip Morris ist nicht nur die grösste Tabakfirma der Welt, sondern auch Besitzer der zweitgrössten amerikanischen Brauerei (Miller) und hinter Nestlé der zweitgrösste Nahrungsmittelkonzern der Welt - der Mischkonzern kaufte in den achtziger Jahren für 18 Milliarden Dollar die Nahrungsmittelriesen General Foods und Kraft Food. Etwa die Hälfte des Umsatzes von 66 Milliarden Dollar erzielt Philip Morris mit Zigaretten, die 65 Prozent des Betriebsgewinns abwerfen, 7,1 Milliarden - das ist mehr als doppelt soviel, wie die Nahrungsmittel einbringen. Hinter Philip Morris folgen RJR Nabisco (Camel), seit 1985 ebenfalls im Nahrungsmittelgeschäft engagiert, Brown & Williamson (Lucky Strike), dann Loews (Kent) und Liggett (Chesterfield) - Giganten der Tabakbranche, die alle ihr Geschäft diversifiziert haben und Jahr für Jahr Milliardengewinne erwirtschaften. Mehr als genug, um keine Rechtshändel scheuen zu müssen. Ihrer beeindruckenden Schlagkraft zum Trotz ist die Industrie in jüngster Zeit aber unter Druck geraten wie nie zuvor. In früheren Jahren hatte sie mit ihren Gegnern vergleichsweise leichtes Spiel: Erstens lasse sich der Zusammenhang zwischen der Krankheit des Klägers und seinem Tabakkonsum nicht beweisen, und zweitens wüssten die Raucher um die Gefahren des Rauchens, schliesslich werde auf jedem Zigarettenpäckchen darauf hingewiesen (in den USA seit 1966). Mit dieser Verteidigungsstrategie gewannen die Zigarettenfirmen sämtliche Produktehaftpflicht-Prozesse.
Heute jedoch wird der «Tobacco War», den die Amerikaner mit missionarischem Eifer führen, an vielen Fronten ausgetragen. Unterstützt von dezidierten Nichtrauchern im Weissen Haus, macht die Anti-Tabak-Bewegung in den USA den Rauchern und Raucherinnen die Hölle heiss. Erbarmungslos wird der Tabakteufel ausgetrieben - Haus um Haus, Strasse um Strasse, Platz um Platz kämpfen sich die Freunde der guten Luft vor. In öffentlichen Gebäuden und am Arbeitsplatz ist Rauchen fast überall schon verboten. Im kalifornischen Palo Alto wurde das Rauchverbot ausgedehnt auf eine Zone ausserhalb öffentlicher Gebäude, weil sich die rauchenden Angestellten vor den Eingängen drängten. Inzwischen gibt es in New Jersey schon Städte, die das Rauchen an öffentlichen Stränden verbieten. Ärzte rufen auf zum Boykott von Aktien der Tabakindustrie, und ein Vizepräsident geht mit der Geschichte seiner am Tabak gestorbenen Schwester auf Stimmenfang.
Auch private Unternehmen kämpfen mit unzimperlichen Methoden gegen das Laster: Der Elektronikkonzern Motorola in Illinois verbietet seinen Angestellten das Rauchen auf dem ganzen Firmengelände - selbst im eigenen Auto, solange es auf dem Firmenparkplatz steht. Einige wenige Betriebe beginnen inzwischen zögernd, ihre rigide Haltung zu revidieren und Raucherzonen einzurichten. «Ich nehme an, wir müssen die Raucher wie Menschen behandeln», begründet der Manager des Westin Hotel in Cincinnati das Entgegenkommen, das manchenorts auch ganz handfeste wirtschaftliche Gründe hat. Firmen wollen die Produktivitätsverluste vermeiden, die entstehen, wenn Mitarbeiter meilenweit gehen müssen, um sich einen Glimmstengel anstecken zu können. Die Raucherzonen sind übrigens meist Raucherkabinen, ausgerüstet mit starken Abzugsanlagen. Denn die Unternehmen fürchten, Angehörige von Mitarbeitern, die dereinst am Passivrauchen erkranken oder sterben könnten, würden sie verklagen.
Aber nicht nur die öffentliche, auch die veröffentlichte Meinung macht mobil. Zeitungen und Zeitschriften, die sich mit Kritik an der Tabakindustrie jahrzehntelang diskret zurückhielten - wer wollte schon leichtfertig happige Anzeigeneinnahmen aufs Spiel setzen -, überbieten sich mit Breitseiten gegen die Giganten, deren finstere Machenschaften es aufzudecken gilt. Die «New York Times» stellte das Zigarettengeschäft schon auf die gleiche moralische Stufe wie die Sklaverei und den Holocaust. Im Chor der schrillen Aufgeregtheit sind gelassene Stimmen selten. «Wir brauchen ein neues Reich des Bösen», durchschaute der «New Yorker» die kriegerische Rhetorik, «da kommen die Tabakriesen gerade recht.»
DIE GRÖSSTE GEFAHR droht den Zigarettenherstellern in den prozesswütigen USA aber von der Justiz. Carter vs. Williamson war nur der Anfang, über 200 ähnliche Fälle stehen zur Verhandlung an. Auch die Witwe von «Marlboro Man» David McLean hat im September in Texas mehrere Tabakkonzerne verklagt; der Schauspieler, der das Image der Zigarette in der Werbung prägte, starb im vergangenen Jahr 73jährig an Lungenkrebs. Werden in den kommenden Prozessen die Firmenunterlagen von Brown & Williamson wie im Fall Carter als Beweismittel zugelassen, erhoffen sich einige Kläger gute Chancen. Die sogenannten «Cigarette Papers» umfassen Tausende Seiten von Dokumenten, unter anderem brancheninterne wissenschaftliche Studien über das Suchtpotential des Nikotins.
An die Öffentlichkeit kamen die Papiere, weil ein Teilzeitangestellter einer für Brown & Williamson tätigen Anwaltskanzlei sie im Mai 1994 Stanton Glantz zuspielte, einem Kardiologen an der University of California und bekannten Anti-Tabak-Aktivisten. Glantz brachte die Unterlagen aufs Internet und lieferte damit den Zeitungen Schlagzeilen. Die Glaubwürdigkeit der Tabakbosse, die kurz zuvor noch vor einem Kongressausschuss beschworen hatten, sie glaubten nicht, dass Nikotin süchtig mache - was Grady Carter zu seiner Klage trieb -, geriet empfindlich ins Wanken. Denn die «Cigarette Papers» enthalten die gegenteilige Aussage eines Kadermitglieds von Brown & Williamson aus dem Jahr 1963: «We are, then, in the business of selling nicotine, an addictive drug.» Die Firma äussert sich zum Inhalt der illegal an die Öffentlichkeit gelangten Dokumente nicht, aber der zitierte Satz gibt den potentiellen Klägern gegen die Tabakindustrie eine neue Waffe in die Hand. Wer zu rauchen beginne, sei zwar selber dafür verantwortlich, lautet das Argument, aber da Nikotin abhängig mache, seien die Hersteller des Suchtmittels dafür verantwortlich, wenn man von der Zigarette nicht mehr loskommt. Dass es schwierig ist, die Gewohnheit des Tabakkonsums wieder aufzugeben, war allerdings noch nie ein Geheimnis. Schriftlich festgehalten hat es schon Francis Bacon im Jahre 1610.
Ein weiterer Grund, warum die Tabakkonzerne vor Gericht das Fürchten lernen könnten, heisst «class-action suit». Bei dieser besonderen Form der Klage werden beliebig viele Einzelansprüche gebündelt und in einem Prozess gemeinsam vertreten. Eine solche Sammelklage, Castano vs. American Tobacco, wurde im Namen aller Raucher Amerikas und ihrer Angehörigen im März 1994 in New Orleans erhoben. Das Appellationsgericht wies sie am 24. Mai 1996 zwar ab, aber das Thema ist damit nicht vom Tisch. Vor allem verfügen bei diesen «class-action suits» auch die Kläger über beträchtliche finanzielle Mittel. Im Fall Castano erklärten sich 65 Anwaltsbüros bereit, jährlich je 100 000 Dollar in den Prozess zu investieren. Das Klägerkomitee hat nach dem Berufungsentscheid weitere Sammelklagen beschlossen und als nächste Arch vs. American Tobacco in Pennsylvania eingereicht.
Doch nicht nur Private, immer mehr auch die Behörden strengen Prozesse gegen die Tabakfirmen an. New Jersey reichte am 9. September als fünfzehnter Bundesstaat Klage gegen die führenden Tabakhersteller Amerikas ein - das Anwaltskonsortium, das den Zuschlag erhielt, traut sich zu, Schadenersatz in der Höhe von Hunderten von Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar herauszuholen. Die Staaten verlangen, dass der Industrie die Kosten aufgebürdet werden, die dem Gesundheitswesen durch Raucherkrankheiten entstehen. Aber diese Ansprüche werden sich kaum durchsetzen lassen, zumindest sind sie äusserst umstritten. Die bisher umfassendste Studie über die gesellschaftlichen Kosten des Rauchens, die 1991 von der Rand Corporation vorgelegt wurde, kommt sogar zum Schluss, dass die Gesellschaft letztlich von den Rauchern profitiert.
Verrechnet man alle Kosten, die Raucher verursachen - einschliesslich der Brände durch unachtsam weggeworfene Zigaretten -, mit den Einsparungen, die dadurch entstehen, dass sie früher sterben, kommt man auf einen Betrag von 33 Cent pro Päckchen Zigaretten. Als Steuer erhoben werden pro Päckchen aber 52 Cent. Beim kleinsten der fünf grossen amerikanischen Zigarettenhersteller hat die Drohung dennoch gewirkt. Der Chesterfield-Produzent Liggett hat sich vergangenen März mit fünf Staaten darauf geeinigt, 10 Millionen Dollar zu zahlen und in den nächsten 25 Jahren 7,5 Prozent des Gewinns abzuliefern.
Nun sind selbst massive Attacken gegen das Rauchen und die Raucher keine neue Erscheinung. Die Geschichte des Tabaks ist von Anfang an auch eine Geschichte der Versuche, ihn zu verbieten. Wer dem verwerflichen Laster frönte, das von den heidnischen Wilden in die übrige Welt gekommen war, wurde im Namen Gottes oder Allahs verfolgt, nach Sibirien verbannt oder geköpft.
Aber ob gekaut, geschnupft, in die Pfeife gestopft oder zur Zigarre gerollt: Tabak breitete sich unaufhaltsam aus, begründete den Wohlstand von Handelsstädten wie Sevilla, wo Carmen Zigarren drehte; von Kolonien wie Virginia, wo der Tabakpflanzer George Washington aufwuchs; und von Kaufleuten wie Philip Morris, der in seinem Londoner Tabakladen feilbot, was die immer zahlreicher werdende Kundschaft begehrte. Zur allgegenwärtigen menschlichen Gewohnheit wurde der Tabakkonsum jedoch erst mit dem Durchbruch der industriell gefertigten Zigarette Anfang des 20. Jahrhunderts. Für den Siegeszug des Glimmstengels waren laut Richard Kluger, Verfasser des Standardwerks zur Zigarettenindustrie «Ashes to Ashes», zwei begünstigende Faktoren massgeblich: der Erste Weltkrieg und die Suffragettenbewegung. In den Schützengräben wurde die Zigarette definitiv zum Attribut der Männlichkeit - eine billige Geheimwaffe zur Hebung der Moral. Um genug Nachschub liefern zu können, arbeiteten die Zigarettenfabriken in doppelten und dreifachen Schichten. Und als Symbol der Emanzipation war die Zigarette für Frauen Ausdruck des Selbstbewusstseins, mit dem sie ihre Rolle in der Öffentlichkeit neu definierten.
Jedenfalls verdoppelte sich der Zigarettenkonsum in den USA zwischen 1920 und 1930. Das konnten weder die puritanischen Aktivistinnen der Anti-Cigarette League of America verhindern noch Prominente wie Thomas Edison und Henry Ford. Der Erfinder war so überzeugt von der Schädlichkeit des Rauchens, dass er grundsätzlich keine Raucher einstellte. Und der Automobilkönig sah in der Zigarette den moralischen Erzfeind der Gesellschaft. Zum krankhaften Verhalten der typischen Kriminellen, erkannte Ford, gehöre zwangsläufig, dass sie rauchten.
ZIGARETTEN SEHEN ALLE etwa gleich aus. Entscheidend für die Verbreitung der einzelnen Marken waren deshalb von Anfang an geschicktes Marketing und intensive Werbung - Hersteller steckten pro Dollar, den sie einnahmen, bis zu 20 Cent in die Promotion ihrer Marke. Die goldenen Twenties waren die Jahre der zündenden Werbesprüche, mit denen die Nachfrage angeheizt wurde: «It's toasted!» prahlte Lucky Strike, «They satisfy», triumphierte Chesterfield, und Camel konterte lakonisch: «I'd Walk a Mile for a Camel». Mit millionenschweren Budgets wurden die Botschaften im Kampf um Marktanteile verbreitet. Der Camel-Produzent R. J. Reynolds war mit 40 Prozent unangefochtener Leader. Gerade ein Prozent hielt Philip Morris - noch war Marlboro «Mild as May», hatte einen aristokratischen Touch und sprach vor allem Frauen an.
Mit dem über Jahrzehnte anhaltenden Anstieg des Zigarettenkonsums vervielfachten sich die Gewinne der Tabakfirmen, die Steuereinnahmen der Staaten, die Lungenkrebserkrankungen der Raucher und die medizinischen Studien, die die Schädlichkeit des Rauchens nachzuweisen suchten. Die Branche wurde zu Konzessionen gezwungen - Warnungen auf den Zigarettenpäckchen, Verbot der Fernsehwerbung -, ohne dass sie darunter gelitten hätte. Die Erfolgsgeschichte von Philip Morris, dem heutigen Branchenführer, fällt in ebendiese Jahre. Sie begann 1963 mit dem «Marlboro Man», dem Cowboy, der durch das mythische «Marlboro Country» ritt, einer Werbekampagne, die, wie Marketingstudien prophezeiten, die Marke innert fünf Jahren ruinieren würde. Sie stellte sich als eine der erfolgreichsten und am längsten laufenden aller Zeiten heraus. 1972 war Marlboro die meistverkaufte Zigarette der Welt, und in den neunziger Jahren galten Marlboro, mit einem Marktwert von über 30 Milliarden Dollar, und Coca-Cola als die beiden wertvollsten Marken der Welt.
Philip Morris liess keine Gelegenheit zur Imagepflege ungenutzt. Der milliardenschwere Konzern sponserte Sportveranstaltungen und Kulturanlässe vom Jazzfestival über die Operntournee der Scala bis zur Ausstellung von Kunst aus dem Vatikan. Das «Wall Street Journal» nannte die Firma das Lieblingsunternehmen der Kulturschaffenden, die «Medici des 20. Jahrhunderts». Ebenso grosszügig setzte sich Philip Morris ein für die Förderung der Schwarzen, für die Bürgerrechtsbewegung und für die Krebsforschung. Und selbstverständlich finanzierte der Tabakgigant Politiker. Mindestens so süchtig wie die Raucher nach Nikotin waren die Parteienvertreter nach Tabakgeld.
Dass dabei die Republikaner in den letzten Jahren besser wegkamen, bekam Bob Dole im Wahlkampf zu spüren, als man ihn als Marionette der Tabaklobby zu demontieren versuchte. Dabei ist es kein Geheimnis und durch Bill Clintons Anti-Raucher-Kreuzzug nicht aus der Welt zu schaffen, dass auch für die Demokraten das Geld der Tabakindustrie - letztes Jahr kassierten sie eine halbe Million Dollar - nicht stinkt. Sie sind nur nicht begierig, darüber zu sprechen, wie «Newsweek» maliziös kommentierte. Und die Republikaner können den Demokraten durchaus vorhalten, dass sie unter dem Deckmantel moralischer Sauberkeit gezielt ihre Klientel bedienen: die Prozessanwälte. Der «Economist» hat nachgerechnet, dass diese unter den Berufsgruppen, die die Demokratische Partei unterstützen, die wichtigste sind. Letztes Jahr spendeten die Prozessanwälte 2,5 Millionen Dollar für Bill Clintons Wahlkampagne. Jeder staatliche Regulierungsschritt gegen die Tabakindustrie wird ihre Kassen klingeln lassen.
Ende August hat Clinton die Food and Drug Administration (FDA) ermächtigt, Zigaretten als Droge zu behandeln. Als Folge würden Zigarettenautomaten nur noch in Lokalen erlaubt, zu denen Jugendliche keinen Zutritt haben, und die Werbemöglichkeiten der Industrie noch einmal deutlich eingeschränkt. Verboten werden soll den Tabakfirmen das Sponsoring von Sportveranstaltungen und das Verteilen von T-Shirts und Baseballmützen, die ihre Logos tragen. Plakatwerbung soll nur schwarzweiss sein, keine Bilder enthalten und nicht im Umkreis von 300 Metern von Schulen und Spielplätzen aufgehängt werden dürfen. Auch für Zeitschriften mit einem Anteil jugendlicher Leser von mindestens 15 Prozent (zum Beispiel «Rolling Stone») würde die Schwarzweiss-Regel gelten.
Dadurch könnte sich die Tabakindustrie bei jener Zielgruppe nicht mehr so gut bemerkbar machen, bei der ihre Werbebotschaft am wirksamsten ist: den Jugendlichen. Die Zigarettenhersteller bestreiten zwar regelmässig, dass sie sich mit ihrer Reklame gezielt an Minderjährige richten, aber die einschlägigen statistischen Erhebungen dürften ihnen geläufig sein: 8 von 10 Rauchern haben zum Glimmstengel gegriffen, bevor sie 18 Jahre alt waren. Die weitgehenden Restriktionen der Tabakreklame würden auch die Werbewirtschaft empfindlich treffen, die zusammen mit der Tabakindustrie rechtliche Schritte eingeleitet hat. Aufträge in der Höhe von Hunderten von Millionen Dollar stehen auf dem Spiel.
BLÄST AUCH DER TABAKINDUSTRIE in den USA und zunehmend in Europa ein rauherer Wind entgegen: im grossen und ganzen hat sie keinen Anlass zur Klage, die Produktion steigt, und mit ihr steigen die Profite. Weltweit nimmt der Tabakkonsum in einem Mass zu, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) von einer globalen «Tabakepidemie» sprechen lässt. Die WHO schätzt die Zahl der Raucher auf über eine Milliarde, auf 47 Prozent aller Männer und 12 Prozent aller Frauen. Vor allem bei den Frauen wird in den nächsten Jahren ein substantieller Zuwachs erwartet. «Wir verlieren den Krieg», liess die American Lung Association in Washington resigniert verlauten. Die abnehmende Zahl der Raucher in den Industriestaaten wird durch die Zuwachsraten in den Entwicklungsländern mehr als wettgemacht.
Vielversprechende Märkte finden die Tabakkonzerne im ehemaligen Ostblock, wo mehr als die Hälfte der Erwachsenen rauchen. Als Russland nach dem Auseinanderfallen der Sowjetunion die Grenzen für Importe öffnete, gehörten amerikanische Zigarettenhersteller zu den ersten Firmen, die davon profitierten. Ein veritables Raucherparadies ist Asien: gute Geschäfte lassen sich in aufstrebenden Staaten wie Vietnam und Kambodscha machen, auch in Japan gehört mehr als ein Drittel der Bevölkerung zu den Rauchern. In China wird weltweit am meisten Tabak angepflanzt (vor den USA, Indien und Brasilien), und die staatlichen Tabakfabriken sind einer der wichtigsten Industriezweige. Gesellschaftlich ist die Zigarette dort fest verankert, 61 Prozent der Chinesen rauchen, bei den Frauen sind es erst 7 Prozent, aber es werden ständig mehr.
Allen Anstrengungen zum Trotz nimmt gerade in den Ländern mit der härtesten Anti-Tabak-Politik der Anteil der jugendlichen Raucher - und vor allem der Raucherinnen - wieder zu. In Kanada lag der Prozentsatz der 15- bis 19jährigen 1990 bei 21 Prozent, heute rauchen 30 Prozent der jungen Frauen und 28 Prozent der Männer. Noch höher sind die Zahlen in den USA, wo 40 Prozent der jungen Frauen und 34 Prozent der jungen Männer rauchen (bei den Erwachsenen sind es 25 Prozent). Zum Vergleich: In der Schweiz rauchen zurzeit 30 Prozent der Bevölkerung, bei den jungen Frauen sind es 26, bei den jungen Männern 36 Prozent.
Mit der Verführungsmacht der Werbung allein lässt sich die ungebrochene Attraktivität des Rauchens nicht erklären. Als Symbol der Unabhängigkeit, das der Initiation in die Welt der Erwachsenen dient, ist die Zigarette für Jugendliche eine mächtige Verbündete - um so mehr, als die Erwachsenen sie den Jungen verbieten. Das Verbot provoziert seine Missachtung, und gut gemeinte Aufklärung lädt ein zur Rebellion. Es war nur folgerichtig, dass eines Tages eine Marke auf dem Markt auftauchte, die die Warnung der Gesundheitsbehörden in einem kühnen Akt zum Verkaufsargument machte. Sie nannte sich «Death».
Laut «Los Angeles Times» zeichnet sich in den USA ein Trend zu Zigaretten mit alternativem Touch ab. Dazu gehören Marken wie die französischen Gauloises und Gitanes oder die indischen Beedies. Und eine Reihe neuer Marken, die abseits vom Mainstream lanciert werden, mit einer Strategie, die jener ähnelt, mit der kleine Brauereien in den standardisierten Biermarkt eindrangen. Die sogenannten Microsmokes sind mit modischer Verpackung und ausgefallener Werbung vor allem auf jüngere Raucher zugeschnitten. (Ein Pendant auf dem Deutschschweizer Markt ist die Ethno-Look-Marke «Yodelidu».) Ihr Marktanteil liegt noch unter einem Prozent, aber auch die Grossproduzenten scheinen im «Microsmokes»-Business ein Potential zu sehen. Philip Morris und andere sind inzwischen mit von der Partie.
Wie immer die amerikanischen Gerichte in den nächsten Monaten und Jahren urteilen werden, der «Tobacco War» wird nicht zu gewinnen sein, ebenso wenig wie der «War on Drugs». Dessen Scheitern zeigt, dass die Prohibition, die schon beim Alkohol versagte, ein untaugliches Instrument und friedliche Koexistenz ihr allemal vorzuziehen ist.
Ein Mann wie Alfred Muller, Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Staate Maryland, sieht das allerdings ganz anders. Anfang Oktober hat er verfügt, dass mit 100 Dollar gebüsst werden soll, wer in seiner Gemeinde mit einer Zigarette in der Öffentlichkeit erwischt wird. Noch haben Gemeinderat und Bezirksparlament das Totalverbot nicht abgesegnet. Vielleicht haben sie ein Einsehen, schliesslich heisst ihr Städtchen Friendship Heights.